Hans Hagen Hottenroth
NOTGELD IN NIEDERÖSTERREICH
EIN GEBOT DER BITTREN NOT
Notgeld in Niederösterreich 1920
„Im Jahre 1913 setzte die Postsparkasse in ihrem für viele Länder vorbildlichen Scheck- und Clearingverkehr 17 Milliarden um, der Saldierungsverein über 9 Milliarden, die Österreichisch-Ungarische Bank in ihrem Saldierungsverkehr über 100, sie diskontierte über 7 Milliarden Wechsel. Hundert Banken mit über 2 Milliarden an Aktiven und Passiven besaßen ein Aktienkapital von über 4 Milliarden, die Genossenschaften von über dreiviertel Milliarden, die Spareinlagen betrugen 6 Milliarden, Banknoten liefen 2 1/2 Milliarden um, und nur 2 Milliarden betrug der Münzumlauf, von dem überdies die Hälfte im Metallschatz dem Verkehr entzogen war, ein Zeichen, wie sehr die Münze im Geldverkehr in den Hintergrund getreten war: 60.000 kg Gold gegen 5000 kg Silber des Lösegeldes von Richard Löwenherz.
Die ersten Erscheinungen auf dem Gebiet des Geldwesens nach dem Ersten Weltkrieg waren die Inflation, der Ersatz der Gold- und Silbermünzen, dann auch der Kupfer- und Nickelmünzen durch eisernes und papierenes Notgeld, das ungeheure Anschwellen des Notenumlaufes und der Staatsschulden, bis in der Nachkriegszeit der völlige Zusammenbruch der öffentlichen Finanzen erfolgte mit der Entwertung 1:14.400, die sich allerdings gegenüber der deutschen Katastrophe von 1:1 Billion bescheiden ausnimmt, aber ebenfalls an die Grenzen der Vernichtung führte.“ Soweit August Loehr in seiner 1946 erschienenen „Österreichischen Geldgeschichte“.
Vor diesem wirtschaftlichen Hintergrund erschienen gleich nach Kriegsende die ersten Notgeldausgaben: Wiener Neustadt am 15. 11. 1918, Wien am 4. 10. 1919 (dem Bedarf entsprechend in hoher Auflage), Stockerau am 3. 12. und die Marktgemeinde Haag am 20. 12. 1919; es folgten Amstetten, Waidhofen a. d. Ybbs und Waidhofen a. d. Thaya am 1. 1. 1920, Krems am 23. 1. und Langenlois am 22. 2. 1920.
Der Anstoß dazu kam von Deutschland, wo Notgeld seit 1914 im Umlauf war und bald auch fleißig gesammelt wurde. Daß echte Kleingeldnot diese Maßnahmen notwendig machte und man nicht bloß mit den Sammlern spekulierte, darauf wurde bereits hingewiesen. Um dies zu verdeutlichen, sei hier das sogenannte Privatgeld vorweggenommen, das häufig auch schon etwas früher als die Scheine der Gemeinden in Umlauf kam. Zahlreiche Kaufleute – Greißler, Bäcker, Fleischhauer, Gastwirte, auch Konsumgesellschaften, Fabriken, Vereine und Parteiorganisationen gaben Gutscheine zu 5, 10, 20 und 50 Heller – auch darüber oder darunter, selten aber in Kronenwerten – aus. Diese Gutscheine waren oft nur Papierzettel oder Kartonplättchen, auf denen der Firmenstempel und, handschriftlich oder gestempelt, der Wert aufschien. Auf der Rückseite zerschnittener Lebensmittelkarten wurde mit Typendruck, Stempel und Unterschrift der Wert des schuldig gebliebenen Wechselgeldes ebenso vermerkt wie auf Badekupons, Feldpost- und Ansichtskarten. Maria Ehrenstrasser in Altenburg zum Beispiel schrieb ihren Kunden 10 h und 50 h auf Leder und Zigarettenkarton gut, Franz Weinhofer in St. Polten 10, 20 und 50 h auf dünnen Holzplättchen.
Der Leiter der Zahlstelle des Technischen Bataillons Nr. 2 in Korneuburg behalf sich mit hektographierten handschriftlichen Zetteln, die Geymüllersche Gutsverwaltung in Hollenburg versah ihre 10-, 20-und 50-Heller-Gutscheine mit drei Stempeln der Herrschaft und einem Langstempel, und dort auch stempelte die Postmeisterin Henriette Madiener ihre handschriftlichen Zettel mit dem offiziellen Postsiegel!
Von den insgesamt 124 niederösterreichischen Privatausgaben sind gut die Hälfte der Not entsprungen. In ihrer bescheidenen Aufmachung boten sie zunächst keinen Anreiz zum Sammeln, sondern wurden von der Kundschaft aufbewahrt und zum jeweiligen Zeitpunkt in größerer Menge beim Ausgeber wieder in gesetzliche Zahlungsmittel umgetauscht. Diese Privatausgaben sind heute ganz besondere Raritäten, die pro Stück bzw. Serie bis zu 1000 S und darüber gehandelt werden.
Erst als die recht ansprechenden Serien der Gemeinden herauskamen, entschlossen sich viele Private zu einer gefälligeren, ja oft sehr hübschen Gestaltung ihrer Ausgaben schon wegen der Sammler. Serien, die nur mehr an Sammler ausgegeben wurden und nicht mehr eingelöst werden konnten, erschienen ab der Mitte des Jahres 1920. Sie kennzeichneten Aufschriften wie „Nur für Sammler“ oder „Spende für . . ., wird nicht eingelöst“. Ihre Ausgabe fiel ja auch schon unter das Verbot des Staatsamtes für Finanzen, weiteres Notgeld aufzulegen.
Solche gedruckte Privatausgaben gab es sowohl in so kleinen Orten wie Etzerstetten (heute Gemeinde Wolfpassing, Bez. Scheibbs) beim Kaufmann Johann Adelsberger, in Fahrafeld (heute Gemeinde Kasten bei Böheimkirchen) bei den Kaufleuten Hitsch, Wagner, Schwarzwallner und Glaser, oder Kapelln beim Kaufmann H. Kaiser, wo die Gemeinde erst gar keine Kassenscheine ausgab, wie auch in mittleren und großen Märkten und Städten neben dem Notgeld der Gemeinden. In manchen Orten folgte ein Wirtschaftstreibender dem anderen, so daß bald jedes Geschäft in der Gasse sein eigenes Notgeld hatte. In Gresten, Purgstall und St. Pölten kursierten je sieben Privatausgaben, in Pottenbrunn gar dreizehn.
Daß bei soviel Privatinitiative die Gemeinden oft nicht bereit waren, den „Markt“ mit den Kaufleuten zu teilen, sei am folgenden Beispiel verdeutlicht: Am 5. 4. 1920 beschloß die Marktgemeinde Erlauf nicht nur eigenes Notgeld auszugeben, sondern verpflichtete die Kaufleute Weiner, Teufl und Fendt, die schon zuvor gemeinsame Scheine hatten drucken lassen, „das betreffende Notgeld vierwöchentlich zu kündigen, und zwar am 15. 4. 1920, so daß es am 1 5. 5. die Gültigkeit verliert“.
Von diesen drei Erlaufer Kaufleuten war Weinert Jude, die beiden anderen „arische“ Bürger. In Erlauf war es damals offenbar noch möglich, daß „Arier“ und Juden zu gemeinsamen Aktionen fanden, was sich vom nahen Ybbs gewiß nicht behaupten ließ. Dort nämlich trat am 4. Juli der „Antisemitenbund“ zur konstituierenden Versammlung zusammen, eine „Schutz- und Trutzburg mehr“, wie der „Erlaftal-Bote“ verkündete, nachdem in Amstetten schon seit 16. April 10-, 20- und 50-Heller-Spenden-Scheine des Schutzvereines „Antisemitenbund“ in Umlauf waren.
Zur selben Zeit brachte die Metallwarenfabrik Krupp in Berndorf eine 50-Heller-Münze und die Consum-Anstalt des Werkes eine Kronenmünze heraus, zwei der ganz wenigen Notgeldmünzen dieser Zeit.
Auch kirchliche Institutionen beteiligten sich am Notgeld-„Boom“. So hoffte der Kirchenbauverein Ertl, Bez. Amstetten, daraus zusätzliche Einnahmen zu gewinnen, in Hollenburg wiederum gab es 3-Kronen-Spendenscheine für die Wetterkreuzkirche, die Pfarrgemeinde Kilb schwang sich gar zu drei Auflagen auf, obwohl die Gemeinde eigenes Notgeld ausgab, und löste sie in ihrem Namen bei der „Sparkasse für Kilb und Umgebung“ ein, während die Pfarre Süßenbach ihre handgeschriebenen Gutscheine zu 25 h und 50 h von vornherein nur für je eine Still- bzw. Segenmesse festlegte. Für die Ausgabe von 20- und 50-Heller-Scheinen des Kellerstüberls Göttweig zeichnete P. Ludwig Koller verantwortlich, für die Gutscheine des Stiftskelleramtes Lilienfeld, für deren Bilderschmuck wie bei den Scheinen der Marktgemeinde Fotografien verwendet wurden, Stiftskellermeister P. Lambert Studeny und Abt Justin Panschab.
Überhaupt ließen die Gaststätten es diesbezüglich nicht an Eifer fehlen. In Herzogenburg und Wöllersdorf zum Beispiel legten die Bahnhofsrestaurationen Notgeld auf, die Inhaberin des Cafe „Stadtpark“ in Krems, Paula Pöschl, „unterzeichnete“ ihre Gutschriften zusätzlich zur Unterschrift noch mit einem Fingerabdruck. Im vielbesuchten Wallfahrtsort Maria Taferl gestalteten der Gastwirt Alois Feyertag und der Kaufmann Josef Thalhammer ihr gemeinsames Notgeld in Anlehnung an die traditionellen Andachtsbildchen und nach dem Motto: „In Maria Taferl hab ich an Dich gedacht – und Dir dies Bildchen mitgebracht.“ Die Scheine des Gastwirtes J. Weber in Oberndorf in der Ebene (heute Herzogenburg) zeigen das Gasthaus im typischen Stil des ausgehenden 19. Jahrhunderts, der Hotelier Franz Pittner in St. Pölten verwendete seine Gutscheine zugleich als Visitkarten, und der Fleischhauer und Wirt Ignaz Schreiner in St. Oswald zeigt seine eigene, urige Figur im Weinkeller und zitiert auf der Rückseite seines 50-Heller-Scheines den Leibspruch seines Vaters
Frisch außa, wia’s drinn is,
net kriachn am Bauch;
ins G’sicht schaun und d’Hand geb’n
is Waldviertier Brauch.
Die Federzeichnung auf diesem Schein stammt von dem damals ganz jungen Zeichenlehrer Friedrich Grausgruber, der sich später in Scheibbs niederließ und bis in die späten sechziger Jahre seine Wahlheimat in unzähligen Holzschnitten, Radierungen, Kupferstichen und Federzeichnungen festhielt.
Von ihm kennt man noch andere Notgeldentwürfe des Waldviertels, auch der Wachau. Der Türnitzer Kaufmann Siegmund Kalmann verzierte seine Gutscheine mit Ansichten seines Heimatortes; auf dem 50-Heller-Schein (Rückseite) gibt er sich zuversichtlich:
Wenn einstens es wird besser
Und verschwinden Not und Pein
Wird’s auch das letzte Ende
Der Gutscheinmode sein.
Von den bereits erwähnten Krupp-Werken abgesehen, ließen an Industriebetrieben die Präzisions-Bolzen G.m.b.H. in Melk und das Ziegelwerk Stronsdorf eigenes Geld drucken, auch die nö. Kleintierzucht- und Wirtschafts-Genossenschaft m. b. H. in Wieselburg und das Kino dort folgten diesem Beispiel.
Bessern heute Kränzchen, Heurigenabende und Sammlungen die Finanzen der Vereine auf, so war 1920 das Notgeld dafür das geeignete Mittel. Der Melker Turnrat, der „Antisemitenbund Amstetten“, die „Deutsch nationalsozialistische Arbeiterpartei“ in St. Pölten und der „Deutschvölkische Verband“ des Viertels ober dem Wienerwald seien als Beispiele angeführt.
Banken, wie die Hainburger Gewerbekasse und die Sparkasse Kilb, beteiligten sich ebenso an diesem Boom wie die Zeitungen und Druckereien.
Die „Mödlinger Nachrichten“ legten Scheine in Zehnerwerten gleich bis 90 h auf; bescheidener gaben sich da die Buchdruckerei in Ybbs und die Preßvereinsdruckerei Eggenburg mit einer Auflage von 10-, 20-, und 50-Heller-Scheinen; hingegen stieg die Druckerei in Herzogenburg ganz groß ein: vier Auflagen mit mehr als 50 Varianten, was Aufmachung, Unterdruck, bildliche Darstellungen und Schriftbild betrifft !
Für das hilflose und sieche Alter war der „Verein der Hauskrankenpflege“ eine segensreiche Einrichtung, wenn auch nicht frei von Eigennutz, hoffte doch die Ortsgruppe Perchtoldsdorf – zu Recht übrigens – ihre nicht einlösbaren Schatzscheine an den Mann, sprich: an den Sammler, zu bringen. Ebenso war das Notgeld der Lungenheilanstalt Steinklamm von allem Anfang an als Spende gedacht: „Eine Einlösung findet nicht statt, da jede Bedeckung fehlt“, weist die humorige Legende auf. Der Nachsatz „Im Interesse aller NOTGELD-Sammler wird die Nachahmung tödlich bestraft“ und die Abbildung von „Tuberkel-Bazillen im Auswurf mögen unter dem Eindruck der damals grassierenden Lungen-Tbc eher makaber gewirkt haben.
In Haag versuchte die „Bürger- und Ständevereinigung“ den geplanten Umbau des Jubiläums-Versorgungshauses in eine Bürgerschule mit Spendenscheinen im „Wert“ von einer Krone zu finanzieren, und in Steinakirchen am Forst gab der „Zweckverband der Gemeinden des Schulsprengels“ 10-, 30- und 60-Heller-Scheine aus.
Aus der Verlegenheit, der Kundschaft nicht herausgeben zu können, ist bald ein einträgliches Geschäft geworden; lupenrein war es meist nicht. Denn alle diese privaten Herausgeber – auch so manche Gemeinde – handelten am Rande der Legalität, sobald ihre Gutscheine den Charakter von Banknoten hatten. Die Ausgabe von Notgeld bedurfte nämlich der ausdrücklichen Bewilligung des Staatsamtes für Finanzen; sie wurde in der Regel nur den Gemeinden erteilt.
Entschloß sich eine Gemeinde, Notgeld drucken zu lassen, so mußte diesbezüglich ein Gemeinderatsbeschluß gefaßt werden, man legte die Höhe der Auflagen und deren Gesamtwert fest und bestimmte einen Bevollmächtigten oder einen Ausschuß, der die Aufgabe hatte, den Druck zu organisieren. Die meisten Beschlüsse dieser Art erfolgten zwischen Jänner und April 1920.
Aus welch unterschiedlichen Motiven Notgeld aufgelegt wurde, zeigen die Gemeinderatsprotokolle aus dieser Zeit. So steht im Protokoll der 9. Scheibbser Gemeinderatssitzung, abgehalten am 1 3. Februar, vier Uhr nachmittags, in zügiger Kurrentschrift zu lesen:
„Pkt. XVII – Beschlußfassung wegen Ausgabe eines Notgeldes. Beschließt der Gemeinderat infolge des eminenten Mangels an Kleingeld die Ausgabe eines Notgeldes für das Ortsgebiet Scheibbs, und zwar die Auflage von 10-h-Scheinen im Betrage von K 10.000, von 20-h-Scheinen im Betrage von K 10.000 und 50-h-Scheinen im Betrag von K 5.000.
Der Gemeinderat nimmt die gleichzeitig vorgelegten Klischees dieses Notgeldes genehmigend zur Kenntnis. Es wird sohin beschlossen, die fertigen Kassenscheine dem Herrn Kassier Alois Weidinger zur Aufbewahrung zu übergeben und die Inverkehrsetzung auszuführen, der sohin das Geld für die ausgegebenen Kassenscheine sofort in ein Sparkassenbuch auf den Namen der Marktgemeinde Scheibbs einzulegen hat, damit für die seinerzeitige Einlösung der Scheine die Geldmittel zur Verfügung gestellt werden können.“
Um die Drucklegung brauchte man sich in Scheibbs jedenfalls keine Sorgen zu machen, war doch der Bürgermeister zugleich auch Inhaber der Druckerei Rudolf & Fritz Radinger.
Feine Fäden zur Ortsdruckerei spann auch die Gemeinde Tulln. Ein Gemeinderat Goldmann war beauftragt worden, in Wien Offerte für die erste Notgeldauflage einzuholen und die Profitchancen zu erkunden. Seine Erhebungen ergaben einen Kostenaufwand von 20.000 K und einen Gewinn von 2 5 Prozent für die Gemeinde. Der Gemeinderat beschloß hierauf die Ausgabe von Kassenscheinen „im Betrage 100.000 K mit 6monatiger Laufzeit‘. Die Ausführung wird dem Finanzausschuß übertragen. Im Verwaltungsakt „Notgeld“ der Gemeinde Tulln scheint aber eine Faktura der Buchdruckerei Ferdinand Goldmann über 10400 K auf, also erheblich weniger als das Wiener Offert veranschlagte, und die Anweisung einer Prämie von 2000 K für den Entwurf der zweiten Auflage an Herrn Severin Goldmann!
Im übrigen ersuchte die Stadtgemeinde Tulln die Horner Stadtväter um Zusendung des Horner Notgeldes und um entsprechende Mitteilung bezüglich der Herstellungs¬modalitäten. Auch in Ybbsitz beantragte der Bürgermeister in der Gemeinderatssitzung vom 31. 1. 1920, „sich vorher mit der Stadtgemeinde Waidhofen (a. d. Ybbs) ins Einvernehmen zu setzen, da dieselbe jetzt die Anschaffung von Notgeld in die Hand nimmt, um von dort die nötigen Aufklärungen zu erhalten. – Wird angenommen.“
Aus diesem Protokoll erfährt man auch das Motiv der Ybbsitzer, eigenes Notgeld drucken zulassen:
„In einem Schreiben der Firma Prietzl in Steyr werden der Gemeinde Ybbsitz Kleingeldscheine zur Bestellung offeriert. – Da nun die Gemeinde um solche nicht geschrieben hat, aber trotzdem die Beschaffung von Notgeld im Interesse der Bevölkerung nicht fallen lassen will, …“
Die Druckereien halfen also ein wenig nach, sie nützten eben ihre Chance, in so schlimmer Krisenzeit ein gutes und im Grunde unverhofftes Geschäft zu machen .
Aus dem Protokoll der Gemeinderatssitzung von Traismauer vom 17. 3. 1920 geht unter Punkt V „Notgeldausgabe“ ein anderer Beweggrund hervor:
„Der Vorsitzende bringt drei Schreiben von Sammlern, welche um Zusendung von Notgeld der Gemeinde Traismauer ansuchen und Geldbeträge hiefür beigelegt haben, zur Kenntnis und drückt die Ansicht aus, daß die Einführung von Notgeld der Gemeinde Gewinn bringen könne, da vermutlich die Hälfte nicht eingelöst werden wird. . . .
Herr Kassier L. Zagiczek hält den Zeitpunkt für die Ausgabe von Notgeld schon zu spät und befürchtet ein Defizit, da die Kosten für die Drucksorten seit dem Vorjahr bedeutend gestiegen sind, und verspricht sich von der angeregten Notgeld-Ausgabe keinen Erfolg. Es wird beschlossen, sich vorerst über die Gestehungskosten solcher Kassenscheine bei einer größeren Druckerei in Wien zu erkundigen.“
Den Auftrag erhielt dann die Wiener Druckerei Gruberner & Hierhammer, eine Firma, die sonst für keine Gemeinde Niederösterreichs Notgeld druckte. Die Befürchtungen des Kassiers Zagiczek waren nicht unbegründet, wie Beispiele aus anderen Gemeinden zeigen, als die Notgeldepidemie von Staats wegen eingedämmt wurde, auf Traismauer aber trafen sie nicht zu. Am 29. September 1921 lagen als Erlös aus nur zwei Serien 41.000 K in der Kassa . . .
Die Flut von Notgeld, die vor allem in der ersten Hälfte des Jahres 1920 über das Land hereinbrach, war in der Tat gewaltig. Eine Gemeinde wollte es der anderen gleichtun, zudem versuchte man sich in den Folgeauflagen auch in künstlerischer Hinsicht zu übertreffen. Bald schon zeichnete sich das gute Geschäft mit den Sammlern ab, Anlaß genug, die neuen Scheine in den Lokalblättern anzupreisen. So berichtet der „Erlaftal-Bote“ vom 30. Mai 1920 zur Notgeldsituation in Lunz:
„Die Gemeinde Lunz am See gibt zur Behebung des Kleingeldmangels um 64.000 Kronen Gutscheine zu 50, 20 und 10 Heller heraus. Die Scheine haben die ungefähre Größe des Pöchlarner Notgeldes und weisen ein Bild des Lunzer Sees mit dem Scheiblingstein, seitlich begrenzt von Enzian und Edelweiß, auf. Die Gutscheine zu 50 und 20 Heller tragen je einen Spruch. Der künstlerische Entwurfstammt vom hiesigen Lehrer Herrn Emmerich Diemberger. Das Gemeinde-Amt nimmt Bestellungen auf Notgeld entgegen.“
Und in derselben Ausgabe:
„Bischofstetten (Notgeld): Die Gemeinde-Vertretung Bischofstetten hat zur Linderung der Kleingeldnot Gutscheine in künstlerischer Ausführung zu 10, 20 und 50 Heller ausgegeben, die gegen Einsendung von 2 K zugeschickt werden.“
Erlaftal-Bote, 13. Juni 1920:
„Aus dem Pielachtal (Notgeld): Die Gemeinde Frankenfels an der Mariazellerbahn gibt Kassenscheine zu 10, 20 und 50 Heller in künstlerischer Ausführung aus. Die Scheine sind mit den Aufnahmen der Feste Weißenburg 1672, Ruine Weißenburg 1919 und der Markgemeinde Frankenfels mit den Falkensteinmauern versehen. Die P. T. Sammler wollen ihre Bestellungen beim Gemeindeamt, wo schon massenhaft Bestellungen aufliegen, einbringen.“
Auf Seite 5 der Ausgabe des „Erlaftal-Boten“ vom 13. Juni 1920 findet sich auch ein ausführlicher Bericht über das Notgeld der Stadt Mödling, der wegen der interessanten Einzelheiten trotz seiner Länge zur Gänze wiedergegeben werden soll.
Am 27. Juni 1920 berichtete der „Erlaftal-Bote“ von den Notgeldausgaben der Gemeinden St. Georgen/Leys und Texing sowie von der Serie des Wieselburger Kleintierzüchterverbandes, am 18. Juli wird die Verlängerung der Laufzeit der Scheibbser Scheine und die Ausgabe der Scheine des Melker Turnvereines verlautbart.
Welche Blüten das Notgeldgeschäft bereits trieb, zeigt folgende Passage aus dem „Erlaftal-Boten“ gleichen Datums:
„Notgeldsammler erhalten von der Buchdruckerei F. Kielar in Amstetten, N.Oe die neuerschienenen, nach mannigfaltigen Entwürfen in Buchdruck sauber hergestellten 35 kompl. Serien (darunter eine Farbenkunstdruckserie) von 35 Gemeinden der polit. Bezirke Amstetten und Melk, gegen Einsendung von 42 Kronen franko rekommandiert prompt zugesandt.
Adresse und Bestellung wollen gleich am Abschnitt der Postanweisung deutlich angegeben werden. (Großabnehmer Rabatt).“
Am 1. August erscheint zur Überraschung aller ein Artikel über die „Gefahren der unbefugten Ausgabe von Notgeld seitens der Gemeinden oder Privater“, in dem darauf hingewiesen wird, daß ohne Bewilligung des Staatsamtes für Finanzen nicht nur die Ausgabe von Notgeld verboten sei, sondern auch die Vorbereitung dazu, und geahndet werde mit der Vernichtung der Geldscheine; den Druckereien aber drohe die Konfiskation der hiefür erforderlichen Maschinen und Konzessionsentzug. Zugleich wird zur Kenntnis gebracht, daß ab sofort eine Bewilligung zur Ausgabe von Notgeld nicht mehr erteilt würde.
Den Hintergrund für diese Maßnahme konnte man schon seit 4. Juli, als die Ausgabe des Landesnotgeldes angekündigt wurde, welches ,,in ganz Niederösterreich, daher auch in Wien, Giltigkeit hat und bei allen öffentlichen Ämtern und Kassen angenommen wird. Die Einlösung der Kassenscheine erfolgt Ende des Jahres 1920. . . u. gelangt beim n. ö. Landes-Obereinnehmeamte in Wien I. Bez., Herrengasse 1 3, zur Ausgabe. Bei diesem Amte kann das Landes-Notgeld gegen Erlag des entsprechenden Bargeldbetrages behoben werden“.
Mit diesem Erlaß vom 11. Juni 1920, ZI. 767/6 -XIV/260 wollte das Land Niederösterreich seinen Gemeinden sicher nicht bloß das Geschäft verderben. Im Rundschreiben des n. ö. Landesrates vom 1. Juli 1920, ZI. 812/13 – XIV/260 an alle Gemeindevorstände heißt es:
„Die Ausgabe von Notgeld seitens der einzelnen Gemeinden hat eine Reihe bedenklicher Folgeerscheinungen gezeitigt.
Im allgemeinen wirkt die Unzahl der Ausgaben verwirrend auf den Geldmarkt und schädigend auf die Valuta, im besonderen führt der enge Geltungsbereich dieser Wertzeichen, zumal dieselben von den öffentlichen Ämtern und Kassen nicht an Zahlungs Statt angenommen werden dürfen, zu Unzukömmlichkeiten im örtlichen und vornehmlich im Durchzugsverkehr.
Hiezu kommt noch der Umstand, daß hiedurch bedeutende Mengen von Papier, welches gegenwärtig unseren wertvollsten Ausfuhrartikel darstellt, dem Kompensationsverkehr mit dem Auslande entzogen und Zwecken der Spekulation und der Sammelwut zugeführt werden . . .“
Man hätte nun annehmen müssen, daß nun die vielen und vielerlei Geldscheine durch die landeseigenen und einheitlichen Kassenscheine abgelöst würden. Doch ganz so rigoros wurde die neue Bestimmung nicht eingehalten. Das Rundschreiben der Bezirkshauptmannschaft Tulln vom 10. August „An alle Herren Bürgermeister“ konzediert jenen Gemeinden, die eine Bewilligung zur Ausgabe von Notgeld besitzen, es ungehindert ausgeben zu können, allerdings nur bis zum von der Zentralstelle festgesetzten Endtermin. Alle Gemeinden, deren Notgeld sich „in einem fortgeschrittenen Stadium der Fertigstellung befindet, so daß eine plötzliche Sistierung . . . mit schweren finanziellen Opfern der Gemeinden verbunden wäre, können dieses Notgeld noch bis 30. Oktober weiter verwenden“.
Natürlich brachten diese Maßnahmen so manche Gemeinden um den erhofften Gewinn, wenn sie sich zu spät entschlossen hatten, Notgeld auszugeben, oder die Druckerei sie hängen ließ. Man wußte sich aber sehr bald schon zu helfen! So beschließt am 17. Juli der Gemeinderat von Ybbsitz, das Notgeld, sobald es eingelangt sei, kurzerhand „ohne Anfragen an die Behörden“ auszugeben.
Kaum aber war das Landesnotgeld da, gab es auch schon die ersten Schwierigkeiten. Mitte August verlautbarten die niederösterreichischen Lokalblätter eine Verfügung der Landesregierung, daß „Reklame auf Notgeldscheinen verboten“ sei. Eine clevere Grammophonplatten-Leih-und Umtauschanstalt machte sich nämlich die Gelegenheit zunutze, die Rückseite der Landesscheine mit ihrem Stampiglienaufdruck zu versehen. Zweifellos eine blendende Idee, leider wurden die Scheine für ungültig erklärt und vor deren Annahme gewarnt.
Unter Punkt sechs des vorhin zitierten Rundschreibens heißt es:
„Winkelbehörden, insbesondere auf Bahnhöfen, dürfen nicht ihr Unwesen treiben; solche werden im Sinne der Gewerbebestimmungen behandelt. Gegen Personen, welche sich bei Amtshandlungen wider die Teilnehmer an solchen Börsen ungestüm und beleidigend verhalten, oder hiebei sonst ein polizeiwidriges Verhalten zeigen, wird unnachsichtlich gemäß der einschlägigen Bestimmungen der Kaiserlichen Verordnung vom 20. April 18 54 eingeschritten . . .“
Tatsächlich gab es viele solcher fliegenden Händler und, gewerberechtlich gesehen, illegale Börsen, vor allem in Wien. Am Bahnhof St. Pölten schlug ein Händler auf Bahnsteig 1 jeden Samstag und Sonntag seinen Stand auf und versorgte die Sammlerschar mit den neuesten Ausgaben: Das Sammeln von Notgeld war zur Landplage geworden. Zu Fuß, per Rad oder per Bahn suchten die Leute der bunten Scheine möglichst vollständig habhaft zu werden. Eigene Steckalben wurden angeboten, zu Massen gekauft und gefüllt, das Notgeldfieber schüttelte nun auch das Land unter der Enns. Dieser Entwicklung trugen Notgeldausstellungen Rechnung, die im Spätsommer des Jahres 1920 in Krems und Salzburg stattfanden. Die Kremser Veranstaltung wurde als „Erste deutschösterreichische Notgeldausstellung (EDNA)“ in allen Medien angekündigt und rief großes Interesse hervor.
Der Reinertrag dieser Ausstellung, anläßlich derer auch drei Auflagen von Spendenscheinen herausgegeben wurden, die wie die meisten Privat- und Sonderausgaben heute schwer zu bekommen sind, floß einem Fonds zur Heimführung Kriegsgefangener zu.
In den Besitz besonders umfangreicher Sammlungen kamen unfreiwillig die Pfarren. Damals wie heute bestreiten sie ihre Ausgaben zu einem nicht geringen Teil aus den Eingängen der sonntäglichen Spenden, und wie heute die Kollekte noch immer aus Kleingeld besteht, so gingen auch 1920 trotz Inflation nur Hellerwerte in Notgeldscheinen ein. In den Pfarrhöfen häuften sich die Kassenscheine, die erst zu Ende des Jahres, bei Verlängerung der Laufzeit Mitte bis Ende des Jahres 1921 eingelöst werden konnten, die Ausgaben aber gingen weiter. So wird verständlich, daß sich die Pfarren um eine Vorverlegung des Einlösetermins bemühten, mit Erfolg zum Beispiel in Ybbsitz, wo der Gemeinderat in der Sitzung vom 11. Juni 1920 der Bitte des Pfarramtes nachkam, das Notgeld halbjährlich zur Einlösung zu bringen.
Was halfs, das Geschäft mit dem Notgeld blühte weiterhin. Die zweite, dritte oder x-te Auflage war für viele Gemeinden schon gedruckt oder unterwegs und mußte zumindest die Gestehungskosten wieder hereinbringen, und die Sammler warteten begierig auf neue Ausgaben.
Der „chr. s. Turnverein“ von Tulln und der „Turnverein Tulln a. d. J. 1883″ richteten schon am 19. Mai 1920 an die Stadtgemeinde die Bitte, eine neue Auflage zu bestellen. Mit dem Hinweis auf die Bedeutung der Pflege der Leibesübungen im Freien unterbreiteten sie der Gemeinde zur Finanzierung eines Sommerturnplatzes und entsprechenden Gerätes folgenden Vorschlag:
„Eine verehrliche Gemeindevertretung beschließe die Ausgabe neuer Kassenscheine à 10, 20 und 50 h mit Ansichten von Tulln im Gesamtbetrage von K 100.000,-und übergibt die gesamte Auflage zum Alleinvertrieb für Sammelzwecke den beiden Turnvereinen, so wie es die Gemeinden Pöchlarn, St. Leonhard am Forst, Ruprechtshofen, St. Peter in der Au und andere mehr bereits getan haben …“
Ähnliche Absichten verfolgte die Freiwillige Feuerwehr Tulln, wie aus ihrem Schreiben vom 8. Juni an die Stadtgemeinde hervorgeht. Diese suchte am 22. Mai beim Staatsamt für Finanzen tatsächlich um Genehmigung einer zweiten Auflage an und urgierte das Ansuchen später sorgenvoll, „da man in Hoffnung der Genehmigung bereits mit dem Druck begonnen, bisher aber keine Erledigung erhalten habe“.
Mit Jahresende, in vielen Orten auch erst Ende 1921, werden die Notgeldscheine eingelöst. Die Gemeinden verkünden per Anschlag Einlösefrist und Ende der Laufzeit. In den Abrechnungsprotokollen der Jahre 1921 und 1922 scheinen schöne Gewinne auf (allerdings täuschen die hohen Zahlen!):
Amstetten: 80.000 K = 10% Gewinn aus der ersten Auflage
120.000 K = 15% Gewinn aus der zweiten Auflage
Scheibbs: 48.144 K 54 h (28. 6. 1922)
Schrems: 24.240 K (Mitte 1922)
Traismauer: 41.000 K (31. 10. 1921)
Welches Schicksal den übriggebliebenen Scheinen unter anderem widerfuhr, verrät folgender im Verwaltungsakt „Notgeld“ des Stadtarchivs Tulln erhaltener Briefwechsel:
Direktion des Wilhelminen-Spitals in Wien, XVI.
D.Z.2386/12 Wien, am 17. Dezember 1921
An die
löbliche Gemeindevorstehung in Tulln
Die gefertigte Direktion erlaubt sich an die löbliche Gemeindevertretung die Anfrage zu richten, ob sie ihr nicht von dort ausgegebenes Notgeld käuflich zur Verfügung stellen könnte. Das Notgeld ist nicht für den Vertrieb im Inlande bestimmt, sondern wird für eine Auslandsaktion im Interesse unseres Kinderspitals verwendet.
Wie der geehrten Gemeindevertretung vielleicht bekannt sein dürfte, ist das Wilhelminenspital das größte Kinderspital Wiens und besitzt ein Stiftungsgebiet in Lilienfeld N.Oe., woselbst für die kranken Kinder unserer Anstalt ein Filialspital in Errichtung begriffen ist. Da das hiezu zur Verfügung stehende Stiftungskapital /C. M. Frank Kinderspitalstiftung / durch die Geldentwertung nicht ausreicht, habe ich Beziehungen zu Auslandsaktionen gesucht. Erfreulicherweise habe ich eine Stelle im Ausland gefunden, die dem Projekte wirksame Unterstützung zu Teil werden läßt, jedoch von uns zum Zwecke der Förderung dieser Aktion Notgeld verlangt.
Die geehrte Gemeindevorstehung würde durch die Überlassung von etwa dort noch vorhandenen Notgeld unsere im Interesse der kranken Kinder eingeleitete Wohlfahrtsaktion in wertvollster Weise unterstützen.
Ich würde gerne 1000 Serien übernehmen.
Mit besonderer Hochachtung
Bürgermeisteramt der Stadt Tulln, am 4. Jänner 1922
Z.
Notgeld
An die
Direktion des Wilhelminenspitals,
Wien
In Vollziehung des Beschlusses des Gemeinderates vom 20. Dezember 1921 wird mitgeteilt, daß die Stadtgemeinde Tulln heute 1000 Serien Notgeld an die Direktion abgesandt hat.
Mit Rücksicht auf den wohltätigen Zweck verzichtet die Gemeinde auf die Bezahlung.
Herrn Kämmerer Kerbler Der Bürgermeister:
beh. Durchführung Niklas
Direktion des Wilhelminenspitales.
D.Z.: 62/28 Wien, am 19. Jänner 1922
An das
Bürgermeisteramt der Stadt Tulln.
Ich beehre mich für die gütige Gratisüberlassung von
1000 Serien Notgeld den wärmsten Dank im Namen
unserer Anstalt auszusprechen.
Ich bin sehr erfreut, daß unsere Aktion von Seite der
geehrten Gemeinde eine derart wertvolle Förderung
erfährt.
Mit dem Ausdruck besonderer Hochachtung
Der Hofrat:
In anderen Gemeinden wieder wanderten die Restposten in das Archiv oder ins Heimatmuseum. Letzteres trifft auf die Marktgemeinde Persenbeug zu, die es sich leisten kann, an ganze Schulklassen noch mit Originalschleifen gebündelte Scheine zur Erinnerung an den Besuch des Heimatmuseums zu verteilen.
Worin bestand nun diese Faszination des Notgeldes, daß es das Interesse so breiter Kreise fand? Im Wert, im wirtschaftlichen Ansehen, lag es gewiß nicht begründet. Denn Notgeld war stets nur sichtbarer Ausdruck zerrütteter wirtschaftlicher Verhältnisse, eben Begleiterscheinung von Notzeiten.
So mag wohl die Aufmachung der Scheine, die bunte Vielfalt, die künstlerische Gestaltung, der gefällige Druck, für den Sammler Anreiz genug gewesen sein, Alben damit zu füllen.
Zahlreiche Entwürfe für die Klischees stammten von namhaften Künstlern. Der Entwurf für das Notgeld von Loich im Pielachtal zum Beispiel, das nicht weniger als 14 Auflagen erlebte, vom akad. Maler Josef von Schön–brunner; er war Zeichenprofessor in Wiener Neustadt und besaß in Loich ein kleines Haus. Schönbrunners Vater war seinerzeit Direktor der Wiener Albertina, seine Vorfahren durch mehrere Generationen anerkannte Künstler. Sein Cousin, Robert von Schönbrunner, Zeichenprofessor in Wien, entwarf das Notgeld für Schönbichl und Zell an der Ybbs.
Der Maler Prof. Würml entwarf für Blindenmarkt, Prof. Wilhelm Ambros gestaltete die Scheine des berühmten Weinortes Röschitz, in Mödling waren die Künstler Prof. Kampas (für Dürnstein) und der Architekt Prof. K. Lehrmann (für Perchtoldsdorf) tätig.
Auch A. Tippl, ein Schulkollege Hitlers, war Bautechniker; er schuf die Entwürfe für Haag. Für Persenbeug und Weinzierl bei Wieselburg zeichnete der Ybbser Architekt Leo Christophory. Während das Notgeld von Weinzierl aber recht konventionell anmutet, erinnert der 50-Heller-Schein von Persenbeug stark an die Jugendstilplakate der zehner Jahre.
Ing. Franz Zöchling aus Wieselburg erinnert sich, daß sein Vater von der Gemeinde Wieselburg beauftragt wurde, persönlich das Notgeld bei der Firma Prietzel in Steyr zu bestellen. Entworfen hat es Architekt Aschenbrenner, der Herrn Zöchling damals erklärte: „Wir nehmen Ihr Haus als Motiv, weil es das einzige ist, das Stil hat“.
Den Entwurf für die hübschen Scheine der Marktgemeinde Ybbsitz besorgte der Benediktinerpater Anton Unterhofer, Zeichenlehrer und von 1955 bis 1960 sogar Direktor des altehrwürdigen Stiftsgymnasiums Seitenstetten.
Die 50-Heller-Scheine des Stiftskelleramtes Lilienfeld, einer davon zeigt den Kellermeister P. Lambert Studeny im Kellerstüberl sitzend, sind mit „Spatina“ signiert. Frater Clemens Maria Franz Spatina, 1888 in Wien geboren, trat 1914 in das Stift Lilienfeld ein, verließ es aber zwei Jahre später wieder und starb 1931 als Dr. jur. Er galt als begabter Zeichner, im Stift Lilienfeld befinden sich einige Aquarelle von ihm: Abt Justin beim Pontifikalamt, eine Ansicht des Stiftskelleramtes mit Eingang und Prälatenturm, auch eine Weinetikette gleichen Motivs stammt von seiner Hand.
Mit „Robert Leitner“ sind die Notgeldscheine von Berndorf, Euratsfeld, Ferschnitz, Gainfarn, Lindabrunn, Nussendorf und Waidhofen a. d. Ybbs signiert. Prof. Robert Leitner war Absolvent des Bundesrealgymnasiums Waidhofen und Porträtist der Bürgermeister dieser Stadt.
Seine Entwürfe sind noch stark im ausklingenden Jugendstil verhaftet und besonders hübsch.
Die „künstlerische Gestaltung“ der Notgeldscheine übernahmen mitunter auch die Druckereien, die entweder eigene Grafiker beschäftigten oder deren Inhaber selbst Entwürfe lieferten. So erstellte der Besitzer der Firma F. Seithenberger im dritten Wiener Gemeindebezirk die Vorlagen für Kettenreith, Klausen-Leopoldsdorf, Annaberg, Dornbach, Enzesfeld, Feuersbrunn, Gainfarn, Gerasdorf, Gumpoldskirchen, Langenlois, Nußdorf an der Traisen, Schönbühel, Sittendorf, Sparbach und Wampersdorf. Die Scheine dieser Gemeinden sind meist nur auf der Vorderseite künstlerisch gestaltet, tragen stark Geldscheincharakter und berücksichtigen sehr gut die Charakteristika des Ortes.
Zu den vielbeschäftigten Druckereien zählte die Firma Prietzel in Steyr. Sie druckte für Drosendorf, Ennsdorf, Kürnberg, Haidershofen, Maria Taferl, Neumarkt an der Ybbs, Persenbeug, St. Peter-Markt, St. Valentin, Seiten-stetten-Markt, Steinakirchen am Forst, Ybbs und andere mehr. Die meisten Entwürfe hiefür stammen von Emil Prietzel, der für viele der genannten Orte die erste Auflage lieferte. Seine Zeichnungen sind sowohl von der Ortsdarstellung her wie auch in der Ornamentik eher klar und einfach.
Die Kunstanstalt Jaksch & Neuhold in Wien VI, mit der Wiener Notgeldszene bestens vertraut, besorgte Entwurf und Druck für Petronell und Maria Lanzendorf.
Die Wachauer Gemeinden ließen sich die Aufmachung ihres Notgeldes besonders angelegen sein. In der ersten Ausgabe brachte Spitz Ansichten von Aggstein, Emmersdorf, Joching, Mitter-Arnsdorf, St. Michael, Schönbühel, Spitz, Weißenkirchen und Wösendorf. Für die Einlösung der Scheine in gesetzliche Zahlungsmittel haftete ausschließlich die Gemeinde Spitz, ebenso für die zweite Auflage, die „Künstlerserie“, mit Motiven der Ortschaften Aggstein, Dürnstein, Emmersdorf, Mitterarsndorf, Schloß Ranna-Mühldorf, St. Michael, Schönbühel, Schwallenbach, Spitz und Weißenkirchen.
Wie sehr dieses „Wachauer Notgeld“ Beachtung fand, unterstreicht ein anläßlich der Kremser EDNA verfaßter Artikel in der „Nieder Oesterreichischen Presse“ vom 2. September 1920:
„ . . . Ferner erwähnenswert ist noch die Vitrine mit dem Wachauer Notgeld … In ihnen kommt zumeist der Liebreiz unserer herrlichen Donaulandschaft zur schönen Geltung. An der künstlerischen Ausführung beteiligten sich, zumeist mit Glück, die meisten heimatlichen Mitglieder des Wachauer Künstlerbundes: Tomschik, Luhde, Kampas, Grausgruber, Grete Gause, Liesl Kienzl, Weber, Prinzl und viele andere. Diese Notgeldzettel sind fast durchwegs in so prächtiger Ausführung gediehen, daß sie über ihren Zweck hinaus geradezu als Reklame für die Wachau selbst dienen könnten . . .“
Neben diesen Serien der Gemeinde Spitz gab es auch von anderen Gemeinden der Wachau Notgeldscheine,
selbst dann, wenn sie im „Wachauer Notgeld“ als Ort schon vertreten waren. Von den genannten Künstlern abgesehen, scheinen noch Siegfried und Otto aus der Wachauer Malerdynastie der Stoitzner für Fürth und ein Monogrammist MS für Dürnstein auf.
Friedrich Grausgruber und Rudolf Weber sind im Lehrerhandbuch 1925/26 als Schulmeister in Scheibbs bzw. Ebergassing verzeichnet. Da man damals vom Lehrer zeichnerische Begabung voraussetzte, wurde er nur allzu gern gebeten, etwa ein Plakat oder ein Spruchband anzufertigen und wohl auch einen Entwurf für das Gemeindenotgeld zu liefern. So manches Unterdruckmuster und das eine oder andere Zierband mögen Lehrerunterlagen entnommen sein. Einige dieser Lehrer sind uns bekannt, sei es durch ihr Signum auf den Scheinen, sei es aus den Unterlagen der Gemeinden: E. Diemberger (Lunz), OL Anton Hitsch aus Fahrafeld (Kasten), R. Langer (Wang), Josef Mika (Hainfeld), Hans Perndl – später Oberlehrer in Strengberg -, dessen Entwurf bei Kielar (Amstetten) in aufwendigem Vierfarbendruck erschien, Viktor Schatz und A. Weidinger (beide Scheibbs), F. Schlager und A. Tippel (beide Haag), Kaspar Senoner (Steinakirchen am Forst), Franz Springer (Neulengbach) und Raimund Wild (Weißenbach bei Mödling). Hinter dem Monogramm K. P. auf den Scheinen von Groß-Siegharts verbirgt sich der spätere Hauptschuldirektor des Ortes, Karl Pexider.
Viele Entwürfe – und nicht gerade die schlechtesten -stammen von Gelegenheitskünstlern, zum Beispiel die besonders gelungenen Ansichten von Hollenstein.
Sie schuf Anton Blaschek, Rothschildscher Forstmeister und später Angestellter der Bundesforste zu Hollenstein.
Anton und Karl Rohrhofer scheinen auf dem Notgeld von Biberbach, Droß, Egelsee, Kollmitzberg, Maria Laach und St. Leonhard am Wald im Zusammenhang mit der Druckerei Kielar auf, die auf Niederösterreich bezogen am besten „im Geschäft“ war, druckte sie doch für rund 30 Gemeinden Auflage um Auflage.
Gleichfalls in Amstetten zuhause war die Druckerei C. Queiser, die wie ihr Konkurrent hauptsächlich für Mostviertier Gemeinden arbeitete, wenn auch in wesentlich bescheidenerem Maße.
In St. Pölten waren fünf Druckereien mit der Herstellung von Notgeld befaßt: die Firmen Sommer, Gutenberg, Groß, Preßverein und Libertas.
Im Waldviertel erhielt die Firma Siedler in Pöggstall mehrere Aufträge, in Hainfeld Wilhelm Trentler, während an Wiener Firmen Chwala, M. Engel & Söhne, Paul Gerin, Eduard Sieger und M. Salzer stets mit Aufträgen niederösterreichischer Gemeinden rechnen konnten.
Alle anderen Druckereien – für Niederösterreich insgesamt 5 3 – waren nur für die engste Umgebung in dieser Hinsicht tätig, oft nur für den eigenen Ort.
Es herrscht kein Zweifel darüber, daß die ersten Ausgaben oft recht primitive Druckanfertigungen waren. Vielfach wurden anfangs nur alte Bildklischees verwendet, wie Dr. Herbert Faber aus Krems zu berichten weiß; der technische Aufwand stieg erst im Laufe des Jahres mit der vermehrten Nachfrage.
Den Bestellern kam es zunächst nur darauf an, rasch und ohne Umstände beliefert zu werden. Das galt vor allem dort, wo man einander kannte und gegenseitiges Vertrauen herrschte.
Große und entfernte Druckereien hingegen versprachen in ihren Offerten, daß der Druck unter besonderer Aufsicht durchgeführt werde und Mißbrauch oder Diebstahl ausgeschlossen sei. So schreibt die Firma Engel an Herrn Ferdinand Goldmann in Tulln:
„Gegen Fälschung im Hause übernehmen wir die volle Verpflichtung, der Druck erfolgt unter ständiger Überwachung eines Vertrauensmannes, und die Gravuren werden unter Beisein eines Beauftragten Ihrer Stadtgemeinde nach dem Drucke vernichtet…“
Das erklärt auch, weshalb in vielen Gemeinden die Druckstöcke nicht mehr vorhanden sind. Natürlich gingen im Laufe der Jahrzehnte viele verloren, in manchen Orten aber haben sie sich in ein Heimatmuseum gerettet (Groß-Siegharts, Heidenreichstein, Langenlois, Scheibbs, Ybbsitz u. a.).
Um nur ja den Auftrag zu bekommen, übernahmen die Druckereien auch noch andere Verpflichtungen. Wie aus dem schon einmal zitierten Protokoll der Stadtgemeinde Amstetten vom 20. Juni 1920 hervorgeht, besorgte die ortsansässige Firma Kielar nicht nur den Druck, sondern erklärte sich auch bereit, alle Auslagen, die der Gemeinde in diesem Zusammenhang seitens der Behörde angelastet werden, wie Steuern, Gefällstrafen usw., zu decken.
So bemühten sich zuletzt alle, Auftraggeber, Künstler und die Druckereien, ein gefälliges und ansprechendes Produkt herzustellen.